Berlin, September 28, 2009: The other day I was researching the source of the four classic rules of interpretation, put forward seminally by Friedrich Carl von Savigny, and traced them back to the following source: Von Savigny, F. C. (1840). System des heutigen Römischen Rechts. Vol. 1. Berlin: Veit und Camp. URL: http://www.archive.org/details/systemdesheutige01saviuoft.
Here is an excerpt from pages 212 to 216 (book 1, chapter 4 (Auslegung der Gesetze), §33, A. Auslegung einzelner Gesetze, Grundregeln der Auslegung). I haven't found them transcribed anywhere else in full, so enjoy:
[*212] Jedes Gesetz ist dazu bestimmt, die Natur eines Rechtsverhältnisses festzustellen, also irgend einen Gedanken (sey er einfach oder zusammengesetzt) auszusprechen, wodurch das Daseyn jenes Rechtsverhältnisses gegen Irrthum und Willkür gesichert werde. Soll dieser Zweck erreicht werden, so müssen Die, welche mit dem Rechtsverhältnis in [*213] Berührung kommen, jenen Gedanken rein und vollständig auffassen. Dieses geschieht, indem sie sich in Gedanken auf den Standpunkt des Gesetzgebers versetzen, und dessen Thätigkeit in sich künstlich wiederholen, also das Gesetz in ihrem Denken von Neuem entstehen lassen. Das ist das Geschäft der Auslegung, die wir daher bestimmen können als die Reconstruction des dem Gesetze inwohnenden Gedankens (a). [note a: Ich gebrauche den Ausdruck Gedanke, weil ich durch ihn den geistigen Inhalt des Gesetzes am bestimmtesten bezeichnet finde. Andere gebrauchen, nicht weniger richtig, den Ausdruck Sinn. Dagegen ist Absicht zu vermeiden, weil es zweydeutig ist: denn es kann auch auf das außer dem Inhalt des Gesetzes liegende Ziel bezogen werden, worauf das Gesetz unmittelbar einwirken. Die Römer gebrauchen abwechselnd die Ausdrücke mens und sententia.] Nur auf diese Weise ist es möglich, eine sichere und vollständige Einsicht in den Inhalt des Gesetzes zu erlangen, und nur so ist daher der Zweck des Gesetzes zu erreichen.
Soweit ist die Auslegung der Gesetze von der Auslegung jedes anderen ausgedrückten Gedankens (wie sie z.B. in der Philologie geübt wird) nicht verschieden. Das Eigenthümliche derselben zeigt sich aber, wenn wir sie in ihre Bestandteile zerlegen. So müssen wir in ihr Vier Elemente unterscheiden: ein grammatisches, logisches, historisches und systematisches.
Das grammatische Element der Auslegung hat zum Gegenstand das Wort, welches den übergang aus dem Denken des Gesetzgebers in unser Denken vermittelt. Es [*214] besteht daher in der Darlegung der von dem Gesetzgeber angewendeten Sprachgesetze.
Das logische Element geht auf die Gliederung des Gedankens, also auf das logische Verhältniß, in welchem die einzelnen Theile desselben zu einander stehen.
Das historische Element hat zum Gegenstand den zur Zeit des gegebenen Gesetzes für das vorliegende Rechtsverhältniß durch Rechtsregeln bestimmten Zustand. In diesen Zustand sollte das Gesetz auf bestimmte Weise eingreifen, und die Art dieses Eingreifens, das was dem Recht durch dieses Gesetz neu eingefügt worden ist, soll jenes Element zur Anschauung bringen.
Das systematische Element endlich bezieht sich auf den inneren Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft (§5). Dieser Zusammenhang, so gut als der historische, hat dem Gesetzgeber gleichfalls vorgeschwebt, und wir werden also seinen Gedanken nur dann vollständig erkennen, wenn wir uns klar machen, in welchem Verhältniß dieses Gesetz zu dem ganzen Rechtssystem steht, und wie es in das System wirksam eingreifen soll (b). [note b: Auch das systematische Element ist ein wesentliches, unentbehrliches Stück der Auslegung. Nur ist freylich in den vorhandenen zahlreichen Commentaren über die Justinianischen Rechtsbücher (in welchen man dasselbe vorzugsweise erwarten möchte) bey weitem der kleinste Theil als wahre Auslegung zu betrachten. Es sind meist Abhandlungen dogmatischer, zuweilen auch historischer Art, die nur von dem commentirten Text Gelegenheit nehmen, sich über die darin berührten Rechtssätze zu verbreiten.]
[*215] Mit diesen vier Elementen ist die Einsicht in den Inhalt des Gesetzes vollendet. Es sind also nicht vier Arten der Auslegung, unter denen man nach Geschmack und Belieben wählen könnte, sondern es sind verschiedene Thätigkeiten, die vereinigt wirken müssen, wenn die Auslegung gelingen soll. Nur wird freylich bald die eine, bald die andere wichtiger seyn und sichtbarer hervortreten, so daß nur die stete Richtung der Aufmerksamkeit nach allen diesen Seiten unerläßlich ist, wenngleich in vielen einzelnen Fällen die ausdrückliche Erwähnung eines jeden dieser Elemente als unnütz und schwerfällig unterlassen werden kann, ohne Gefahr für die Gründlichkeit der Auslegung. Von zwey Bedingungen aber hängt der Erfolg jeder Auslegung ab, und darin lassen sich jene vier Elemente kurz zusammen fassen: erstlich daß wir uns die geistige Thätigkeit, woraus der vor uns liegende einzelne Ausdruck von Gedanken hervorgegangen ist, lebendig vergegenwärtigen: zweytens, daß wir die Anschauung des historisch-dogmatischen Ganzen, woraus dieses Einzelne allein Licht erhalten kann, in hinlänglicher Bereitschaft haben, um die Beziehungen desselben in dem vorliegenden Text sogleich wahrzunehmen. Erwägen wir diese Bedingungen, so vermindert sich dadurch das Auffallende mancher Erscheinung, die uns leicht an der Richtigkeit unsres Urtheils irre machen könnte. Wir finden nämlich nicht selten bey gelehrten und berühmten Schriftstellern Interpretationen von fast unbegreiflicher Verkehrtheit, während talentvolle Schüler, denen wir densel[*216]ben Text vorlegen, vielleicht das Rechte treffen. Solche Erfahrungen lassen sich besonders an den zahlreichen Rechtsfällen machen, woraus ein so großer und lehrreicher Theil der Digesten besteht.
Das Ziel der Auslegung geht bey jedem Gesetze dahin, gerade aus ihm so viel als möglich an wirklicher Rechtskenntnis zu gewinnen; die Auslegung also soll von der einen Seite individuell, von der anderen reichhaltig in Resultaten seyn (c). [note c: Dieses Ziel des Verfahrens auszudrücken, ist der Name Auslegung (explicatio) besonders geeignet, indem er darauf geht daß das in dem Wort Eingeschlossene an das Licht gezogen und dadurch offenbar gemacht werde. Der Name Erklärung dagegen deutet mehr darauf hin, daß der (zufällige) Zustand der Unklarheit aufgehoben und in Klarheit verwandelt werde, bezeichnet also weniger die allgemeine Natur des Geschäfts.] Dieser Erfolg kann in verschiedenen Graden erreicht werden, und es ist diese Verschiedenheit abhängig theils von der Kunst des Auslegers, theils aber auch von der Kunst des Gesetzgebers, in dem Gesetze viel von sicherer Rechtskenntnis niederzulegen, also von diesem Punkte aus das Recht so viel als möglich zu beherrschen. Es besteht also hierin eine Wechselwirkung zwischen trefflicher Gesetzgebung und trefflicher Auslegung, indem der Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und gesichert ist.